Intime Träumerey · German Lyrics & Music for Piano
Intime Träumerey
Die Einsamkeiten der Liebe bergen das schöpferische Genie
Szenen aus dem Leben Friedrich Hölderlins
im thematischen Dialog mit Werken
von Mozart, Schumann & Schubert
erzählt von Peter Härtling
Klavier: Franz Vorraber
Mitschnitt einer Aufführung im Schloss Bad Homburg 2007
DDD · Double Album · c. 111 Minutes
I
ntime Träumerey: "Die Einsamkeiten der Liebe bergen das schöpferische Genie"
Bergen diese Tragiken eine Notwendigkeit? Sind sie nicht Antrieb und Basis zur Schöpfung jener Werke, die von uns heute so bewundert werden? Denken Sie an den Knaben, welcher bemüht ist, dem Wunsche des Vaters zu entsprechen, oder an den Jüngling, der sich nicht das Mädchen nimmt, nicht erobert, sondern den hehren Werten der Minne nachstrebt und dann erschreckend ob der Triebhaftigkeit seines Wesens schweigt...
Diese Einsamkeiten sind wohl die Tragik jener Dichter und Komponisten, die in ihrer eigenen, von der Gesellschaft unverstandenen Welt leben und letztlich an der Zurückweisung ihrer Sensibilität scheitern. Peter Härtling und Franz Vorraber geben uns anhand ihres thematischen Dialoges mit Szenen aus dem Leben des Dichters Friedrich Hölderlin und Werken von Wolfgang Amadeus Mozart, Robert Schumann und Franz Schubert einen sensiblen Einblick in diese Tiefen. Sie zeigen uns die Parallelen zwischen den Genies, deren Genres und ihren Werken - Schöpfungen, die aus diesen Einsamkeiten entstanden sind.
Josef-Stefan Kindler
H
ölderlin, die Grafschaft Homburg und die Musik
Mein Versuch, wie Hölderlin von Frankfurt nach Bad Homburg zu wandern, scheiterte an den Autobahnen. "Die Schönheiten der hiesigen Gegend", die Silberpappeln, die er liebte, würde er heute nicht mehr wiederfinden. Also fuhr ich, als ich 1975 an meinem Hölderlin-Roman schrieb, in die Stadt seines Freundes Isaak von Sinclair. "Das Städtchen liegt am Gebirge, Wälder und geschmackvolle Anlagen liegen rings herum; ich wohne gegen das Feld hinaus, habe Gärten vor dem Fenster..." schreibt er an seine Schwester Heinrike. Sinclair hatte ihm beim Glasermeister Wagner in der Haingasse Unterkunft verschafft. Ich ging seine Wege nach und ließ mich bei jedem Besuch vom Schlosspark verzaubern, dessen selbstbewusste Intimität vom Wesen der landgräflichen Familie zeugt. Vor allem die Töchter, Auguste und Marianne, fühlen sich dem Dichter verbunden. "Am Hofe hat mein Buch einigermassen Glük gemacht..."; sein "Hyperion" wurde gelesen. "Die Familie des Landgrafen besteht aus ächtedlen Menschen, die sich durch ihre Gesinnungen und ihre Lebensart von anderen ihrer Klasse ganz auffallend auszeichnen", schreibt er seiner Mutter. Dennoch hielt er auf Distanz, "aus Vorsicht und um meiner Freiheit willen."
Der Hof stellte Hölderlin ein Klavier zur Verfügung. Wahrscheinlich hat Sinclair erzählt, wie sehr sein Freund die Musik brauche und wie sehr er sie liebe. In Frankfurt hat er oft mit Susette Gontard und ihrer Freundin Marie Rätzer musiziert. Schon darum hat er sich von der Mutter aus Nürtingen seine Flöte schicken lassen. Mit Susette hat er gelegentlich in Frankfurt Konzerte besucht. Welche Musik hat er gehört? Was haben Susette, Marie und er musiziert?
In keinem seiner Briefe wird der Name des Komponisten genannt. Bis auf einen. Im Sommer 1789, in seinem ersten Jahr auf dem Stift in Tübingen, nimmt er Flötenunterricht, bei dem berühmten Konzertvirtuosen Friedrich Ludwig Dülon. Er ist, als sie sich kennenlernen, ein Jahr älter als Hölderlin, von Kindheit an blind. Er kam aus Preussen, aus Oranienburg. Schon als Zwölfjähriger reiste er, begleitet von seinem Vater, durch Europa. Hölderlins Begabung beeindruckte ihn und er attestierte ihm, bei ihm "nichts mehr lernen" zu können. Wahrscheinlich haben sie gemeinsam im Stift konzertiert. Und es ist auch anzunehmen, dass Hölderlin Dülons Stücke für Flöte spielte. Immerhin ein Komponist seiner Zeit! Dülons von Wieland 1807 veröffentlichte Autobiografie "Des blinden Flötenspielers Leben" wird Hölderlin, inzwischen Gast Ernst Zimmers im Turm am Neckar, sicher nicht in die Hände bekommen haben.
Ich war mir mit Franz Vorraber rasch einig, welche Komponisten als geistige Gefährten Hölderlins zu hören sein sollten. Mozart hat er ohne Zweifel auf der Flöte und dem Klavier gespielt, durch Dülon mit ihm vertraut. Schumann wiederum hat in jener Zeit, als das Werk Hölderlins fast vergessen war, als Sechzehnjähriger den Hyperion gelesen; und eines seiner letzten Werke, "Die Gesänge der Frühe", sind in Erinnerung an diese Lektüre, an die Erscheinung Diotimas komponiert. Und Franz Schubert mit seiner grandiosen "Wanderer-Phantasie" ist dem Wanderer Hölderlin ohnehin nahe, diesem Dichter, dessen Wanderschritt auch das Mass seiner Verse ist.
Peter Härtling
M
ozarts Rondo D-Dur, ein tänzerisch heiteres Rondo, wie es nur Mozart schreibt, wird zu Beginn des Abends seiner c-Moll Fantasie gegenübergestellt. Ein ganz anderer Geist offenbart sich in diesem wahrhaft fantasierend, teilweise rezitativisch angelegten, dunklen Stück. Mozarts c-Moll ist voller Gegensätze im Charakter und im Wechsel der Tonarten. So wie später im c-Moll Klavierkonzert endet auch die Fantasie ohne jeden Kompromiss. Beethoven hat aus dieser Mozart-Fantasie einige Motive für seine dramatische Appassionata-Sonate entnommen.
"An Diotima" nach Friedrich Hölderlin lautet der ursprüngliche Arbeitstitel von fünf Stücken Robert Schumanns, die er später Bettina von Arnim widmete. Diese Gesänge der Frühe sind das letzte veröffentlichte Klavierwerk Schumanns vor seinem Selbstmordversuch und seinem zweijährigen Aufenthalt in der Nervenheilanstalt Endenich. Schumann war sehr belesen. Hölderlin, Diotima, seine eigene Geschichte mit Clara, die zu dieser Zeit zu Ende geht, und seine Fähigkeit, Vorahnungen in Musik umzusetzen, sind wohl nicht zufällig. Die Gesänge der Frühe haben eine ganz eigene Färbung. "Das Herannahen des Morgens", wie er schreibt, die rufende Quint, erinnert sowohl an Beethovens 9. Sinfonie als auch an seine Clara-Motive in der fis-Moll Sonate, der C-Dur Fantasie oder dem Klavierkonzert. Es ist eine Hoffnung auf Licht, eingebettet in eine Harmonik, die eine Schlusswirkung oft ausspart wie bei Brucknerschen Chorälen, kombiniert mit Querbezügen zu Beethovens letzter Sonate op. 111 in den Trillerfiguren des letzten der fünf Stücke. "Die Gesänge der Frühe sind charakteristische Stücke, die die Empfindungen beim Herannahen und Wachsen des Morgens schildern, aber mehr als Gefühlsausdruck, als Malerei", schreibt Schumann an seinen Verleger. Das Morgen als innerer Traum, abseits der realen Lebensumstände, die von Krankheit, Ehekrise, Verlust der Stelle als Musikdirektor in Düsseldorf und schließlich einem Selbstmordversuch, Entmündigung und Einlieferung in eine Anstalt gezeichnet sind. Dieses Morgen widmet Robert Schumann den idealen Frauengestalten Diotima, Bettina und seiner eigenen Frau Clara in Erinnerung einer idealen Liebe, mit Motiven aus der jugendlichen fis-Moll Sonate, die er fast 20 Jahre zuvor geschrieben hat. Sein Lebenswerk ist vollbracht. Ein befreiendes Verklingen macht die Gesänge der Frühe zu einem außergewöhnlichen Zeugnis seines Komponierens gegenüber seinem Schicksal - einem inneren Traum, den die Musik erhöht.
Franz Schuberts Ges-Dur Impromptu verwendet das "Wanderer-Motiv" leicht verändert in einer abgeklärten Stimmung. Es ist ein Spätwerk, das er in seinem letzten Lebensjahr geschrieben hat. Die zahlreichen harmonisch subtilen Wendungen lassen ein kleines kostbares Stück entstehen, das aber trotzdem den rhythmisch unerbittlichen, aber leisen Fluss des Werkes nie unterbricht.
Schuberts Wanderer-Fantasie ist 1822 bis 1823 entstanden. Zur selben Zeit schreibt Beethoven seine letzte Sonate op. 111. "Die Sonne dünkt mich hier so kalt", lautet der Text der Liedzeile des Schubert-Liedes "Der Wanderer", das dem Thema des 2. Satzes zugrunde liegt, welches den zentralen Variationssatz des Werkes bildet. Es ist ein kühnes, bis zu dieser Zeit einzigartiges Werk, dessen vier Sätze aus einem einzigen rhythmischen Motiv aufgebaut sind und das ohne Pause zu einem Ganzen zusammengesetzt ist. Obwohl der Titel "Wanderer-Fantasie" nicht von Schubert stammt, liegt durch den thematischen Kern der Bezug zum Lied "Der Wanderer" nahe. Dieses rhythmisch prägnante Fortschreiten findet sich zudem häufig in Schuberts Werken, etwa in der Winterreise oder den Moments musicaux. Das Wandern ohne Unterlass, ohne Halt, das unaufhörliche Fließen reißt alles mit sich. Vielleicht wird es durch den Traum unterbrochen, aber dieser unbändigen Kraft können wir uns nicht entziehen, und sie fordert letztlich eine Entscheidung. So erklingt dieses Werk am Schluss des Abends als Schuberts Ruf an den am Ende sich selbst unendlich fernen Hölderlin: "Ich bin Dir nah!" - dem ewigen Wanderer, der Du in Deinem einzigartigen Leben warst, das an der Einsamkeit des wahrhaft Liebenden zerbrach.
Franz Vorraber
D
urch Heinrich von Kleists Drama "Prinz Friedrich von Homburg" ist die ehemalige Residenz der Landgrafen von Hessen-Homburg vor den Toren Frankfurts weltbekannt geworden. Das Schloss mit seinen wundervollen Gärten gehört wohl zu den schönsten Barockanlagen Deutschlands. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die preußischen Könige und deutschen Kaiser, wohl auch wegen der erholsamen Lustbarkeiten in dem durch seine Heilquellen schon damals berühmten Bad "Homburg vor der Höhe", zwischen 1866 und 1918 nur zu gerne des Sommers hier verweilten. Selbst der Prince of Wales nebst höchstem englischen und russischen Adel suchte hier Kurzweil, Erholung und Heilung.
Die Kultur war an den Höfen Europas schon immer sehr facettenreich. Der gebildete Adel wusste um die Notwendigkeit der Förderung und Pflege der schönen Künste und schuf somit die Basis der Atmosphäre Europa. Vieles, was in bildender Kunst, Literatur und Musik keinen vordergründigen, marktwirtschaftlichen Wert besaß, fand Beachtung und Bewunderung und bildete die Grundlage unserer heutigen kulturellen Existenz und Identität. So ist es dem Mäzen Isaak von Sinclair zu verdanken, dass das Dichtergenie Friedrich Hölderlin künstlerisch entscheidende Jahre seines tragischen Lebens in Homburg verbrachte. Dem Landgrafen Friedrich V. widmete Hölderlin sein wohl bekanntestes Gedicht "Patmos". Eine Bronzeplatte mit dessen Anfangsversen bedeckt heute den Zugang zur Familiengruft der Homburger Landgrafen, die sich unter dem Chorraum der Schlosskirche befindet. Erhaltenswertes und hörenswert Neues, musikalische Kostbarkeiten aus Tradition und Avantgarde - beides undenkbar ohne den Nährboden Europa - dokumentieren wir in der Serie "Castle Concerts" an authentischer Stelle. Kaiser Wilhelm II. schuf in Bad Homburg durch die Stiftung einer Stadtkirche, wohl ohne es zu ahnen einen der schönsten und intimsten Konzertsäle Europas. Denn die bis dahin genutzte Schlosskirche mit ihrer prächtigen Bürgy-Orgel geriet in Vergessenheit und überstand somit die Wirren und den Modernisierungswahn des letzten Jahrhunderts - bis sich das "Kuratorium Bad Homburger Schlosskirche" dank modernem Mäzenatentum dieses architektonischen Kleinods annehmen konnte: Originalgetreu mit behutsamer Liebe zum Detail wurden Kirche und Orgel zu einem wundervollen Konzertsaal restauriert. Heute erstrahlt die Schlosskirche in neuem Glanz und wird durch die mit viel Engagement und Enthusiasmus veranstaltete Konzertreihe "Castle Concerts" mit musikalischen Höhepunkten fürstlich geschmückt.
B
orn in Graz (Austria), Franz Vorraber has been fascinated by the piano since his early childhood. At the age of seven, he played the organ in church standing up - as he could hardly reach the pedals. At the age of thirteen, he was admitted to the piano class for exceptional students at the Music Conservatory in Graz, also learning the violin. The Viennese School in the tradition of Bruno Seidlhofer and the traditional German school of Wilhelm Kempff, handed down by Joachim Volkmann, dominated his study years. He has won many prizes for his skills on the piano. Here, just some of the awarders: the Austrian Culture Minister, the piano manufacturers Bösendorfer in Vienna and the city of Graz. He also won the Joachim Erhard prize. He completed his studies in Frankfurt and Graz receiving unanimously the highest awards. His greatest project has been the cyclical performance of Robert Schumann's complete piano works in a total of twelve evenings in different cities in Europe and Japan. The press and the public have repeatedly acclaimed him as one of the most important interpreters of Schumann in our times. He has recorded these works on a series of thirteen CDs for which he was awarded Austrian Broadcasting's Pasticcio prize in 2006. Despite all these prizes, other criteria are pivotal in Franz Vorraber's concerts: his enormous expressive force as a musician and his ability to expose the essential core of the music fascinate his public. He leaves his listeners emotionally moved. Since his debut in Tokyo at the age of 19, he has received many invitations to almost all the European countries, America and Japan, where he also holds master classes.
B
orn in Chemnitz (Germany) in 1933, Peter Härtling moved to the Swabian Nürtingen in 1946 after spending time in Saxony, Moravia and Austria. He started his journalistic work after school in 1952 at a small Swabian newspaper first, later then as literary editor at the "Deutsche Zeitung" (German Newspaper) in Stuttgart and Cologne from 1955 till 1962. After that, from 1962 till 1970, he worked as co-publisher of the newspaper "Der Monat" (The Month) in Berlin and started in 1967 as chief editor of the "S. Fischer Verlag", where he was appointed managing director in 1973. Since 1974 Peter Härtling has worked as freelance writer. There are many awarded works among his published poems, essays, novels and short stories since 1953, that have been translated into more than twenty languages, for example the "Deutscher Bücherpreis" (German Book Prize) 2003 or the "Corine Ehrenpreis" (Corine Honored Award) 2007. Peter Härtling is particularly well known for his novel-biographies of great poets and musicians such as Friedrich Hölderlin, Franz Schubert, Robert Schumann, Wolfgang Amadeus Mozart and Fanny Hensel. In the years 2000 and 2001 he was president of the "Hölderlin Gesellschaft" (Hölderlin Society).
P
ublishing Authentic Classical Concerts entails for us capturing and recording outstanding performances and concerts for posterity. The performers, audience, opus and room enter into an intimate dialogue that in its form and expression, its atmosphere, is unique and unrepeatable. It is our aim, the philosophy of our house, to enable the listener to acutely experience every facet of this symbiosis, the intensity of the performance, so we record the concerts in direct 2-Track Stereo digital HD. The results are unparalleled interpretations of musical and literary works, simply - audiophile snapshots of permanent value. Flourishing culture, enthralling the audience and last but not least also you the listener, are the values we endeavor to document in our editions and series.
Music that is new, pieces worth listening to and well worth conserving, little treasures from the traditional and the avantgarde - music that is unimaginable anywhere else but in the hotbed of Europe - we capture these in our Castle Concerts Series of recordings in their original settings in cooperation with Volker Northoff.
Andreas Otto Grimminger & Josef-Stefan Kindler, K&K Verlagsanstalt
Disc 1
Peter Härtling (born 1933):
1. "Hölderlin - Wie hat er geliebt?"
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791):
2. Rondo for Piano in D Major, K. 485
Peter Härtling:
3. "Die erste Liebe"
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791):
4. Phantasy for Piano in D Minor, K. 475
Peter Härtling:
5. "Ein Abschied von den Gontards"
Robert Schumann (1810-1856):
6. Gesänge der Frühe, Op. 133
Disc 2
Peter Härtling:
1. "Hölderlin - Ein Wanderer der deutschen Literatur"
Peter Härtling:
2. "Die Prinzessin"
Franz Schubert (1797-1828):
3. Impromptu in G-Flat Major, Op. 90 No. 3 (D 899/3)
Peter Härtling:
4. "Hölderlins Wahnsinn"
Franz Schubert (1797-1828):
5. Phantasy in C Major, Op. 15 (D 760)
"Wanderer-Fantasie"