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ändel war nie in Maulbronn - und mit der mittelalterlichen Klosterwelt hat sein Schaffen im Grunde nichts zu tun. Doch seit gut zehn Jahren ist der Ort im Württembergischen, mit der einzig komplett erhaltenen mittelalterlichen Klosteranlage nördlich der Alpen, eine wichtige Pflegestätte der Händel'schen Oratorien. Dank der CD-Mitschnitte können Händel-Freunde aus aller Welt an den Händel-Konzerten aus dem Kloster Maulbronn, das seit 1994 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, teilhaben. Mittlerweile liegen Einspielungen von neun Oratorien vor.
Dirigiert werden sie von Kirchenmusikdirektor Jürgen Budday, der seit 1978 Lehrer für Musik am Evangelischen Seminar Maulbronn ist und auch für die Kirchenmusik an der Klosterkirche verantwortlich zeichnet. Seit dieser Zeit ist Budday im "Nebenamt" der künstlerische Leiter der 1968 ins Leben gerufenen Maulbronner Klosterkonzerte, in deren Rahmen die Händel-Konzerte stattfinden. Zumeist zu deren Abschluss im Herbst. Getragen werden die Konzerte vom Maulbronner Kammerchor, der 1983 gegründet wurde und in dem ausgebildete Sänger aus ganz Deutschland mitwirken. Den Kern bilden dabei Absolventen des Seminars Maulbronn. Mit dem aus Anlass einer Konzertreise in die USA gegründeten Maulbronner Kammerchor gastierte Jürgen Budday in ganz Europa, in den USA, Israel, in Südafrika und Namibia sowie bereits zweimal in Argentinien.
Mitgeschnitten und veröffentlicht werden die CDs mit den Maulbronner Händel-Aufführungen von der K&K Verlagsanstalt aus dem pfälzischen Landau, die in ihrer Edition Kloster Maulbronn auch andere Höhepunkte der Maulbronner Klosterkonzerte aufzeichnet und als CD veröffentlicht. Verleger Josef-Stefan Kindler war sofort von der Aura des Ortes in den Bann gezogen und so sehr vom Potential der künstlerischen Arbeit in Maulbronn überzeugt, dass er das Konzept der Edition Kloster Maulbronn entwickelte. Es war von Beginn an klar, dass die Mitschnitte der Konzerte in der Edition hohen künstlerischen Ansprüchen zu genügen hatten, da sie weit mehr sein sollten als bloße Dokumentation und Souvenirs. Vor allem die Händel-Aufführungen.
Wichtig war Jürgen Budday die historische Aufführungspraxis. Die Händel-Pflege soll in Maulbronn in einem konzeptionellen Zusammenhang stehen um so einen inhaltlich geschlossenen Zyklus aufzubauen. Daher standen und stehen die Maulbronner Aufführungen im Kontext von Reihen wie "Biblische Helden in Händels Oratorien", "Biblische Könige" oder "Biblische Feldherren". Mit "Jephtha" begann 1998 die Reihe der für die Edition mitgeschnittenen Aufführungen. 1999 erklang der "Samson". Nach einem Jahr Unterbrechung war 2001 "Judas Maccabäus" an der Reihe, 2002 der "Saul". 2003 folgte "Solomon", 2004 "Belshazzar". Die Jahre 2005 und 2006 standen im Zeichen des "Messiah", erst im Original, dann zum Mozart-Jahr in der Mozart-Fassung. 2007 war folgte "Joshua".
Alle Maulbronner Einspielungen werden von Tonmeister Andreas Grimminger von der K&K Verlagsanstalt betreut und klangtechnisch ganz vorzüglich realisiert. Er legt vor allem Wert darauf, so viel wie möglich von der ganz besonderen Aura der Konzerte zu vermitteln, was ausgezeichnet gelingt. Es ist in der Tat eine besonders dichte Stimmung bei den Händel-Konzerten in der altehrwürdigen Klosterkirche - und wiewohl Händels Oratorien fast alle für Aufführungen in säkularen Räumen komponiert wurden, finden sie in der Maulbronner Kirche einen sehr passenden Ort. Es ist kein Zufall, dass unter anderem deshalb auch die prominenten Solisten die Konzerte in Maulbronn sehr schätzen. Der Countertenor Michael Chance, der an mehreren Konzerten mitwirkte, hat gegenüber Jürgen Budday betont, dass der Auftritt in Maulbronn für ihn "a real highlight" in seinem Jahresprogramm, das Konzerte und Opernaufführungen an den ersten Häusern umfasst, sei.
Gleich zu Anfang der Reihe war mit Emma Kirkby ein "Weltstar" der Alten-Musik-Szene in Maulbronn aufgetreten. Neben Michael Chance kamen und kommen international gefragte Gesangssolisten wie Nancy Argenta, Stephen Varcoe, Markus Schäfer oder Marlies Petersen (kurz nach ihrem Festspielauftritt in Salzburg) nach Maulbronn. Aber auch junge Sängerinnen und Sänger mit Zukunft gestalten die Solopartien in den Oratorien Händels. So sang die Emma-Kirkby-Schülerin Miriam Allan in "Joshua" - und das nicht nur in der berühmten Arie "Oh! had I Jubal's lyre" - auf absolutem Weltklasseniveau.
Auch von dem jungen Countertenor David Allsopp, der in "Joshua" sang, wird man gewiss noch hören. Den Orchesterpart übernimmt seit einigen Jahren die Hannoversche Hofkapelle, ein hochkarätig besetztes Originalklang-Ensemble, das auch gerne nach Maulbronn kommt und mit dem die Zusammenarbeit nach den Worten von Jürgen Budday sehr produktiv ist.
Bieten die Händel-CDs bei den bekannten Werken eine spannende Alternative zu den Konkurrenzaufnahmen, gegenüber denen sie sich gut zu behaupten wissen, so haben sie etwa im Fall des "Joshua" nicht geringen Repertoirewert. Denn auch der Aufnahme unter Robert King mit seinem "King's Consort" gab es bis dato keine weitere anspruchsvolle Aufnahme des Werks entgegenzusetzen. Auch in der Mozartfassung des "Messias" auf Originalinstrumenten wird die Diskografie durch den Maulbronner Konzertmitschnitt wesentlich bereichert.
Außer dem erwähnten Robert King und Peter Neumann mit seinem Kölner Kammerchor hat kein Dirigent und hat kein Chor so konsequent und so viele Händel-Oratorien aufgenommen wie Jürgen Budday mit seinem Maulbronner Kammerchor.
Dr. Karl Georg Berg 2008,
Hausmitteilungen der Händelgesellschaft zu Halle e.V.
Der Messias, KV 572 · Händels englisches Oratorium "Messiah" in der Bearbeitung von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Händels Messias zu bearbeiten war keine eigene Idee Mozarts. Vielmehr handelte es sich dabei um einen Auftrag des Barons Gottfried van Swieten. Van Swieten hatte in Wien die „Gesellschaft der Associierten" gegründet, in deren privaten Zirkel oratorische Werke zur Fasten- und Weihnachtszeit aufgeführt wurden. Durch die Reformen des Monarchen Joseph II. hatte die Kirchenmusik einschneidende liturgische Veränderungen hinnehmen müssen, woraufhin sie fast zum Erliegen kam. Aus diesem Grund verlagerte sich das Geschehen auf private Veranstaltungen. Zu dem Kreis um van Swieten gehörte der Wiener Adel, dessen Mitglieder gleichzeitig als Mäzene auftraten. Mozart nahm schon einige Zeit vor seinem Messias an diesen Konzerten teil - als Cembalo-Spieler unter Hoftheaterkomponist Starzer, der bereits Judas Maccabäus bearbeitet hatte. In dieser Zeit hatte Mozart bereits Zugang zu van Swietens Privatbibliothek und konnte Partituren Bachs und Händels studieren, in denen er tiefreichende Anregungen für sein eigenes Schaffen fand. 1788 übernahm Mozart selbst die Direktion der Privatkonzerte und bearbeitete im selben Jahr Händels Acis und Galathea, im März 1789 schliesslich den Messias und im Jahr darauf die Cäcilien-Ode und das Alexanderfest. Die Proben zum Messias fanden in van Swietens Wohnung statt. Am 6. März 1789 wurde das Oratorium im Palais des Grafen Johann Esterhazy erstmals aufgeführt. Die Zahl der mitwirkenden Instrumentalisten ist nicht bekannt, im Chor sollen es nur 12 Sänger gewesen sein. Baron van Swieten, der ein grosser Verehrer barocker Musik war, verlangte von Mozart, das Stück zu „modernisieren". Dieser Anspruch war durchaus üblich - man hatte zwar grosse Achtung für das ursprüngliche Werk und dessen Komponisten, was aber kein Hinderungsgrund dafür war, „Veraltetes" dem neuen Empfinden anzupassen. Als Vorlage diente Mozart die Erstausgabe von Händels Partitur. Daraus fertigten zwei Kopisten eine Arbeitspartitur. Anstelle des englischen Textes und der Bläserstimmen setzten sie dabei leere Zeilen, in die Mozart seine eigene Begleitung schreiben konnte sowie den Text, der von van Swieten stammte. Seiner Version wiederum lag die Übersetzung von F. G. Klopstock und C. D. Ebeling aus dem Jahre 1775 zugrunde. Die grösste Veränderung erfuhren die Arien, die Form, von der man glaubte, sie bedürfe am meisten einer „Aktualisierung". Mozart änderte teilweise das harmonische Gefüge, nahm Kürzungen vor, variierte die Tempi, transponierte die Arien oder ordnete sie anderen Stimmen zu. Bis auf eine Ausnahme hält er aber die Form der Arie ein. Nur „Wenn Gott ist für uns", erscheint bei Mozart als Rezitativ statt als Arie. Dazu van Swieten: „Ihr Gedanke, den Text der kalten Arie in ein Recitativ zu bringen, ist vortrefflich ... Wer Händel so feierlich und so geschmackvoll kleiden kann, dass er einerseits auch den Modegecken gefällt, und andererseits doch immer in seiner Erhabenheit sich zeigt, der hat seinen Werth gefühlt, der hat ihn verstanden, der ist zu der Quelle seines Ausdrucks gelangt, und kann und wird sich daraus schöpfen". Die „kalte Arie" hatte Mozart mit ihrer Stimmung wohl so wenig zugesagt, dass er einmalig den formalen Rahmen ändern zu müssen glaubte, was für seinen sensiblen Umgang mit der Vorlage spricht. Die Chorsätze erscheinen in fast unveränderter Form. Allerdings hat Mozart sie auf Harmonie gesetzt. Zu den Füllstimmen der Hörner und Trompeten kommen Holzbläser, die vor allem im Unisono die Oberstimme des Chores begleiten. Die Posaunen hingegen doppeln optional Alt, Tenor oder Bass sind aber nur in zwei Nummern obligat. Vor der späteren Erstveröffentlichung des Drucks des Messias schreibt Rochlitz im Intelligenzblatt der Allgemeinen musikalischen Zeitung: „Er hat mit äusserster Delikatesse nichts berührt, was über den Stempel seiner Zeit erhaben war ... Die Chöre sind ganz gelassen, wie sie Händel geschrieben hat, und nur behutsam hin und wieder durch Blasinstrumente verstärkt." Eine weitere Änderung in den Chorsätzen betrifft die Tempi. Hier greift Mozart ein und wählt meist langsamere. Neben der Verlangsamung der Sätze „beraubt" Mozart den Chor einiger Passagen. Das betrifft vor allem virtuose Stellen in den Anfangschören, die er den Solisten überlässt. Neben der Erklärung, er täte das zur Veranschaulichung der barocken Terrassendynamik, könnte man auch auf äussere Gründe schliessen. Möglicherweise hatte er keinen Chor zur Verfügung, dem er dies zugetraut hätte. Auch die Arien wurden gekürzt. Beispielsweise strich er den Mittelteil der Bass-Arie „Sie schallt, die Posaun’". Dazu Rochlitz: „Diejenigen [Arien], wo Händel mehr der Gewohnheit seiner Zeit folgte, haben von Mozart ein neues und unübertreffliches Akkompagnement erhalten, ganz im Geiste Händels, und doch mit Benutzung der weiter fortgeschrittenen Kultur der Instrumente und des Geschmacks, und wo sie zu lang waren und unbedeutend wurde, wie z.B. der zweyte Theil nur für Singstimme und Bass geschrieben war, da hat er sie verkürzt." Im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Oratorienbearbeitungen sind die Kürzungen Mozarts aber geringfügig. Sie legen es vielmehr darauf an, das Geschehen zu verdichten und zu straffen. So verkürzt sich die Aufführungsdauer um ca. eine halbe Stunde auf 2 ½ Stunden. Rochlitz meint, dass das Oratorium dadurch „für jedes Publikum höchst geniessbar ist". Mozart begnügt sich jedoch nicht mit platten, konventionellen Änderungen. Er setzt die Holzbläser in Arien zur Ausdeutung der Grundstimmung ein. Zudem enthebt er die Fagotte immer wieder ihrer Generalbassfunktion. Um den musikalischen Fluss der Arie zu wahren stellte er in Kadenzen dem Sänger Instrumente zur Seite anstatt ihm die Freiheit zum Improvisieren zu lassen. Neben den Richtlinien, die der Geschmack der Zeit aufstellte, hatte sich Mozart auch nach äusseren Umständen zu richten. Zum Beispiel ist die Orgel gestrichen - es gab in den Wiener Palais, wo die privaten Aufführungen ja stattfanden, schlicht keine Orgeln. Ein anderes Problem, mit dem Mozart konfrontiert wurde, war der Wandel im Trompetenspiel, der sich zwischen Händels Messias und der Gegenwart vollzogen hatte. Der Verfall der ständischen Ordnung hatte den Niedergang der Stadtpfeiferzünfte und mit ihnen den Niedergang der Kunst des Clarinospiels zur Folge. Die Trompete des klassischen Orchesters reichte in ihrer Strahlkraft nicht an ihre Vorgängerin heran, weshalb Mozart sie zur Stütze des Orchesterklanges, harmonisch wie rhythmisch, „degradierte". Die ursprünglichen Passagen modifizierte er oder überliess sie anderen Instrumenten wie z.B. dem Horn in der Arie „Sie schallt, die Posaun’", das grössere Virtuosität bot. Trotz der Bearbeitung durch Mozart, bleibt der Messias doch das Werk Händels. Mozart hat nicht neu komponiert, sondern eine Vorlage bearbeitet, es praktisch arrangiert oder noch moderner gesprochen: „gecovert". Er erreicht dabei eine Synthese von barocker Kontrapunktik und klassischem Stil, weshalb der Messias in dieser Fassung durchaus eine bemerkenswerte Alternative zum „Original" darstellt. (Teresa Frick)
Diese Konzertaufnahme des „Messias" ist Teil eines Zyklus von Oratorien und Messen, die Jürgen Budday im Rahmen der Klosterkonzerte Maulbronn über mehrere Jahre hinweg aufführt. Die Reihe verbindet Musik in historischer Aufführungspraxis mit dem akustisch und atmosphärisch optimal geeigneten Raum der einzigartigen Klosterkirche des Weltkulturerbes Kloster Maulbronn. Dieser Idealort verlangt geradezu nach der Durchsichtigkeit des Musizierens und der interpretatorischen Freilegung der rhetorischen Gestik der Komposition, wie sie durch die historische Aufführungspraxis in besonderer Weise gewährleistet ist. So wird ausschließlich mit rekonstruierten historischen Instrumenten musiziert, die in den zu Lebzeiten der Komponisten üblichen Tonhöhen gestimmt sind (in dieser Aufführung a' = 430 Hz).

Die Sonate für Fagott & Klavier in G-Dur, Op. 168, von Camille Saint-Saëns (1835-1921)
Das Fagott wird oft als Komiker des Orchesters empfunden, aber in seiner Sonate für Fagott und Klavier zeigt uns Saint-Saëns eine elegante und würdevolle Seite dieses Instrumentes. Saint-Saëns fing bereits im Alter von drei Jahren mit dem Komponieren an und hat etwa dreihundert Werke komponiert. Andere französische Komponisten wie Poulenc und Ravel wurden von Saint-Sans inspiriert, und Poulenc hat angeblich sogar musikalische Ideen von ihm übernommen. Die drei Holzbläser-Sonaten (für Fagott, Oboe und Klarinette) gehören zu seinen letzten Werken, die er alle bekannten Solisten seiner Zeit gewidmet hat. Die Sonate für Fagott ist Leon Letellier gewidmet, der damals Solofagottist an der Oper in Paris war. Das Stück fängt in der hohen Tenorlage wie aus dem Nichts an und entwickelt sich zu einer geschmeidig schwebenden Melodie, die immer aufgeregter wird. Im zweiten Satz erklingt ein traditionellerer Klang vom Fagott, der humorvoll ist und das Fagott von seiner sportlichen und verspielten Seite zeigt. Der dritte Satz beginnt scheinbar entspannt mit einer einfachen träumerischen Melodie, die sich im Mittelteil zu einer leidenschaftlichen, rhythmischen Passage entwickelt, bevor sich in der Reprise die Spannung entlädt. Die Reprise endet auf einer unvollständigen Kadenz, die in ein stolzes, fast zirkusartiges Finale mündet.
Das Trio für Oboe, Fagott & Klavier, FP 43, von Francis Poulenc (1899-1963)
Mit Darius Milhaud, Arthur Honegger, Louis Durey, Germaine Tailleferre und Georges Auric wurde Francis Poulenc 1920 zu der sog. "Groupe des Six" gerechnet, die genau genommen gar keine Vereinigung war, sondern die Kreation eines Musikjournalisten, der einfach die Vertreter der damaligen Moderne als Analogie herausstellte zu dem "Mächtigen Häuflein" der fünf russischen Komponisten um Mussorgsky und Balakirew in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Trio wurde 1926 komponiert und dem spanischen Komponisten Manuel de Falla gewidmet. Es steht in der typischen schnell-langsam-schnell Form und wird als eines von Poulencs feinsten Stücken betrachtet. Zum ersten Mal in Poulencs Kammermusik nimmt das Klavier eine zentrale Rolle ein.

Das Chor-Konzert: "Der Mensch lebt und bestehet · Geburt ~ Endlichkeit ~ Ewigkeit"
Es war wohl um die Jahrtausendwende, als ich in einem Gespräch mit Jürgen Budday, im Kreuzgang des Klosters, über den hehren Raum und dessen atmosphärische Nutzung während einer Aufführung sprach. Die Dimensionalität einer Aufführung erweitern, das Publikum einbetten in die Spannung, die Begeisterung des Konzertes, ohne Instrument - mit der reinen Kraft der menschlichen Gaben, jenen, die wir von Geburt an vom Schöpfer erhalten haben. Wissen Sie, neben vielen Anforderungen die ein solches Projekt an alle Beteiligten stellt, will ich eines herausgreifen, schlicht das Menschliche. Es braucht Zeit um im gemeinsamen Arbeiten eine gewisse Vertrautheit zu entwickeln, Erfahrung im Arbeiten miteinander - schlicht respektable Freundschaft. Denn nach über 10 Jahren der Zusammenarbeit kennen wir mittlerweile „unseren Kammerchor", wissen um die hohen Anforderungen die der Leiter an sich und die Sängerinnen und Sänger stellt. Alle haben neben ihren beruflichen und täglichen Anforderungen konzeptionell und musikalisch hart auf die vorliegende Live-Aufnahme hin gearbeitet, um diesen Moment der Aufführung festzuhalten, Ihnen zu Freude. Ich danke an dieser Stelle allen Beteiligten und überlasse nachfolgend dem Dirigenten das Wort zur inhaltlichen, konzeptionellen Erläuterung des Programmes.(Josef-Stefan Kindler)
Unter dem Titel „Der Mensch lebt und bestehet" stellt der Maulbronner Kammerchor Kompositionen in einen inhaltlichen und inneren Zusammenhang, der Geburt nicht nur als ein freudiges Ereignis, sondern als einen Schöpfungsakt begreift, in dem Göttliches und Menschliches zusammenfinden, in dem irdische Endlichkeit impliziert ist, der aber gleichzeitig darüber hinausgeht und zu seinen göttlichen Ursprüngen zurückführt. So werden prophetische Worte des Alten Testaments aufgegriffen, die sich in der Ankündigung der Menschwerdung Christi an Maria konkretisieren („Angelus Domini Ave Maria") und ins weihnachtliche Geschehen hineinführen („Gloria" bzw. „O magnum mysterium"), gleichzeitig aber die Vereinigung des Menschen mit der göttlichen Wirklichkeit durch Läuterung und Versenkung (Unio mystica) thematisieren. Jedes Leben hat ein Ziel, weist über die irdische Endlichkeit hinaus und führt zum „hellen, schönen, lichten Tag, an dem er/sie selig werden mag." (Reger).
Der Text (ca. 1300) der doppelchörigen Komposition „A Hym to the Virgin" von Benjamin Britten (1913-1976), der Maria als liebliche, strahlende und verehrenswerte Jungfrau, die den Sohn Gottes trägt, preist, ist von Britten in einer archaischen Grundstimmung und Melodik vertont worden. Dabei teilt er dem ersten Chor einen englischen Text zu, der vom zweiten Chor in lateinischer Sprache interpoliert und kommentiert wird.
Die Motette „O magnum mysterium" des amerikanischen Komponisten dänischer Herkunft, Morten Lauridsen (geb. 1943), spricht vom Wunder der Geburt Jesu. Die Komposition thematisiert aber gleichermassen die unio mystica, die Vereinigung mit der göttlichen Wirklichkeit durch Läuterung und ekstatische Versenkung.
Die Idee zu seinem „Gloria", gewidmet „A la Casa de la Madre y el Nio" in Bogota kam Jan Sandström ( geb. 1954) in einem Traum, den er folgendermassen beschreibt: „In einer Kirche auf einem Berg hoch über Bogota wiederholte ein Kinderchor ununterbrochen das Gloria, während mal das eine, mal das andere Kind mit dem Ausruf ‚Gloria in excelsis’ aus der Menge heraustrat." Diese Konstellation des raschen Wechsels Chor / Vorsänger hat Sandström in seine Komposition einfliessen lassen; beschwingter Rhythmus eingängige reizvolle Harmonik und ein Klang, der die Zuhörer von allen Richtungen her einschliesst, machen das Zuhören zum Erlebnis.
Eine Besonderheit dieses Programmes besteht in der Einbeziehung mehrchöriger Kompositionen, deren Wirkung durch eine räumlich getrennte Aufstellung deutlich erhöht wird und die auch kompositorisch intendiert ist. So erleben wir in den Motetten von Biebl und Britten jeweils einen kleineren Fernchor von der Empore der Klosterkirche herab. Auch die Solisten im „Gloria" von Sandström verstärken die Raumwirkung durch eine dem Chor gegenüber gestellte Positionierung. Ebenso entfalten die Reger-Motetten eine eigene Klanglichkeit durch eine extrem breite, den ganzen Chorraum ausfüllende, gemischtstimmige Aufstellung. Die Maulbronner Klosterkirche bietet für solche Klangkonzeptionen ideale Voraussetzungen. (Jürgen Budday)

Das Konzert: "Glas & Steine · Konzert für Glasharmonika & Verrophon"
Sie sind aus gewachsenem Stein gebaut, die hehren Hallen des Weltkulturerbes. Ein faszinierender Gedanke, wenn man unter den jahrhundertealten Gewölben steht. Es scheint die Steine flüstern - denn in der Ruhe ihrer Existenz spürt man die Durchdrungenheit all jener Stimmen und Instrumente, die diese Mauern mit ihren Klängen erfüllt haben - Violinen und der Schall der Trompeten, Orgel und Gesang... Metall und Holz. Doch ist es letztlich nicht das Material des Körpers welches den Klang eines Instrumentes ausmacht? Mozart liess sich vom Klang der Glasharmonika zu zwei Kompositionen inspirieren und Arvo Pärt hat dem Ensemble, nachdem er seine Komposition auf der Glasharmonika hörte, diesem als einmalige Gegebenheit sein Einverständnis erteilt, "Pari Intervallo" mit dem gläsernen Instrument aufzuführen. Selbst Gottfried Keller beschrieb den Klang und die Wirkung des Instrumentes: "...und nun begann das Spiel mit den geisterhaftesten Tönen, die ich je gehört..." . Nun, die Glasharmonika besteht aus Glas - schlichtem Allerweltsglas, nichts weiter als geschmolzenem Sand. Aber somit auch aus dem Grundstoff aus denen die Mauern des Weltkulturerbes bestehen - gewachsenem Sandstein... und es war mir beim Konzert der Wiener Künstler so, als spürte ich die Hallen schwingen, und meinte die Steine selbst singen zu hören (Josef-Stefan Kindler)
Seit 150 Jahren in Vergessenheit wird die Glasharmonika heute wieder nach historischem Vorbild gebaut. Sie wurde 1761 von Benjamin Franklin erfunden. Die einzelnen Glasschalen (b - f''') sind auf einer rotierenden Achse befestigt. Zur Orientierung sind manche Schalen mit Goldstreifen markiert, diese entsprechen den schwarzen Tasten am Klavier. Befeuchtete Finger am Rand der rotierenden Schalen bringen das Glas zum Schwingen.
Das Verrophon (verre franz. = Glas) wurde 1983 auf dem Prinzip der "musical glasses" von Sascha Reckert erfunden. Chromatisch angeordnete Glasröhren sind an den Schwingungsknotenpunkten befestigt, die Länge bestimmt die Tonhöhe; befeuchtete Finger am Rand bringen das Glas zum Schwingen.

Das Konzert: "Wach auf, mein Geist"
Wer hätte das gedacht... in äußerst ansprechender, ja edler Weise verführt uns die Aufführung der Hamburger Ratsmusik zu einem Blick auf jene Werte, die heute mehr und mehr durch die vielfältigen Einflüsse unserer Umwelt ihre Berechtigung zu verlieren scheinen. Berührend, und vielleicht daher beruhigend, erfährt man beim Hören der Aufführung von Werten wie Anmut, Demut und Edelmut, welche dazumal den gleichen Stellenwert wie heutzutage Effizienz, Effektivität und Leistung einnahmen. Für mich persönlich eine der schönsten und ansprechendsten kammermusikalischen Konzerte innerhalb der Edition Kloster Maulbronn. (Josef-Stefan Kindler)
Die „Hundert ahnmutig und sonderbar Geistliche Arien", gedruckt 1694 in Dresden, erzählen vom Atem Gottes, sinnbildlich dargestellt in den Winden Africus, Kaurus und dem „seidensanften West, der seinen Kuss den Rosen läßt". Diese Sammlung ist der ergänzende Anhang zu dem 18 Jahre älteren Dresdner Gesangbuch; Christoph Bernhard hat als Herausgeber und Komponist die Drucklegung nicht mehr erlebt. Die Lieder waren nicht bestimmt für den Gemeindegesang - in der angespannten Zeit der Konversion August des Starken zum Katholizismus ohnehin ein heikles Thema - sondern für die protestantischen Hausandachten der übrigen fürstlichen Familie. Die Melodien sind kunstvoller als diejenigen anderer geistlicher Lieder dieser Zeit, die Basslinien äußerst phantasievoll und bemerkenswert die vereinzelten Instrumentalritornelle. Eine zweite Liedsammlung des 17. Jahrhunderts widmet sich demselben Thema. Johann Rists „Himlische Lieder", gedruckt 1641/2 in Lüneburg, wurden vom Hamburger Ratsmusiker Johann Schop vertont. Beide standen in freundschaftlichem Kontakt zu Christoph Bernhard, der als Lieblingsschüler Heinrich Schützens veranlaßte, daß dieser die beiden auf seiner Reise nach Kopenhagen unterwegs kennenlernte.